„Denkst du nicht, dass wir was Besseres hinkriegen als das alles?“ will Edona von mir wissen. Den ganzen Nachmittag gammeln wir schon auf der Chinawiese am See rum. Sie sitzt an einen Baum gelehnt, ich liege neben ihr, mit meinem Kopf auf ihrem Schoss. „Was sollen wir denn Besseres hinkriegen?“ stelle ich die Gegenfrage. „Na, im Leben muss es doch noch mehr geben, als immer von der Hand in den Mund zu leben. Ich würde gerne mal wegfahren in Urlaub. Nach Italien ans Meer oder so … und es stört mich, dass du und mein Bruder immer irgendwas ausheckt, was ihr eigentlich nicht tun solltet. Ihr seid ja nicht dumm. Ihr müsst doch auch mit weniger Ärger verursachen durchs Leben kommen.“ „Dass Jasa nicht dumm ist, kann ich so nicht unterschreiben.“ sag ich und muss lachen. Sie boxt mir auf den Oberarm. „Du Vogel.“ sie lacht mit. „Du weisst genau was ich meine.“ Wir schweigen einen Moment, bis ich es unterbreche. „Eigentlich nicht. Was sollen wir denn anderes machen?“ „Wie wär es mit Zielen im Leben? Irgendwas muss man doch haben, was man erreichen möchte…“ „Und was soll das sein? Frau, Kinder, Haus, Garten und einen Hund?“ Der Gedanke daran ekelt mich irgendwie an. „Zum Beispiel … wenn man sowas mag. Ich hätte nichts dagegen. Ich stelle mir das schön vor. Ruhig. Weniger Stress. Meinst du nicht?“ „Ich denke nicht, dass das so funktioniert … denke nicht, dass wir die besten Startvoraussetzungen bekommen haben … und was aufbauen versuchen? Je mehr man hat, desto mehr kann man auch wieder verlieren … und irgendwie verliere ich einfach zu oft in diesem Spiel namens Leben. Ich hab nicht wirklich bock, den Einsatz auch noch zu erhöhen.“ „Aber wenn man nichts riskiert, passiert ja nie etwas. Willst du ewig in der Scheisse hier leben?“ „Funktioniert doch soweit…“ Ehrlich gesagt, denke ich da gar nie darüber nach. „Ja aber wie lange noch? Meinst du, ihr kommt ewig immer mit blauen Augen davon? Eines Tages kriegen die euch mal richtig ran für etwas … oder noch schlimmer.“ „Sollen sie uns doch dran kriegen. Gehen wir halt mal eine Weile in Staatsurlaub. Dadurch ändert sich die Welt auch nicht. Die interessieren sich jetzt nicht wirklich für uns und danach wohl auch nicht. Oder denkst du, irgendwer will, dass wir irgendwas Grosses erreichen in unserem Leben?“ Man sieht ihr an, dass sie nachdenkt. „Und was ist, wenn ihr euch so in die Scheisse reitet, dass ihr mal dabei draufgeht? … ich hasse diese Vorstellung.“ Sie streichelt mir durch die Haare und sieht mich traurig an. „Ich … wir … wir gehen schon nicht drauf.“ Ich setze mich auf und nehme sie in den Arm. „Denk nicht sowas Edona.“ Ich geb ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wir machen schon nichts Gefährliches, was tödlich enden könnte oder so.“ „Und warum habt ihr dann immer Messer und so Zeug dabei, wenn es nicht gefährlich ist was ihr so treibt?“ Ich weiss darauf keine Antwort. Denn alles was ich dazu sagen könnte, würde auf die eine oder andere Art wohl bloss ihre Befürchtungen bestätigen. Vielleicht hat sie recht? Sind wir wirklich so schlimm? Sind wir das Problem und gar nicht die Gesellschaft? Bis anhin haben wir immer alles auf die und das System geschoben. In beides passen wir nämlich aus unserer Sicht nicht rein. „Siehst du Ben. Das kannst du mir nicht beantworten … denk doch mal nach. Was für Zukunftsaussichten habt ihr, wenn ihr weiter macht wie bisher? … ich mache mir Sorgen um euch. Ich will euch nicht im Knast besuchen müssen und schon gar nicht auf einem Friedhof. Ich brauch euch lebend. Ich brauch euch bei mir … ich brauch dich bei mir.“ Sie dreht sich in meinen Armen zu mir hin und umarmt mich ganz fest. „Was soll ich denn machen? Ich mach doch schon eine Ausbildung … die ist zwar scheisse, aber ich soll eine machen sagen alle … aber das Geld reicht halt hinten und vorne nicht.“ „Mein Lehrlingslohn reicht auch nur knapp. Aber irgendwie kriegt man das schon hin … man muss halt ein paar Jahre unten durch, bevor man genug Geld verdient mit Arbeiten. Das geht allen so.“ „Allen? … dann gehen also alle auch die Jahre vor ihrer Ausbildung schon unten durch?“ Der Gedanke, dass ich noch länger kaum einen Krümel vom Kuchen abbekommen soll, macht mich wütend. „So hab ich das doch gar nicht gemeint.“ „Wie auch immer du das gemeint hast, ich verstehe es nicht … warum willst du unbedingt bei denen dazugehören, die uns die ganze Zeit immer wie Dreck behandelt haben? Wir waren immer die Aussenseiter. Wir waren immer an allem Schuld. Die dummen, bösen Heimkinder, die keiner will. Das Pack… Und da willst du jetzt mitmachen?“ Ich löse mich aus der Umarmung und rutsche ein kleines Stück von ihr weg. „Ich verstehe dich nicht Edona.“ „Was verstehst du daran nicht, dass ich raus aus dem ganzen Müll, in ein schöneres, geregelteres Leben will und euch dabeihaben möchte? … du kannst nicht immer alles was passiert in die Schuhe der kompletten Welt schieben.“ Sie rutsch zu mir auf und umarmt mich wieder.
Was sie sagt, ist ja nicht per se falsch, aber… ok, es ist gar nicht falsch. Aber die Gesellschaft ist so eklig egoistisch und oberflächlich. Ich mag das nicht. In meiner Welt ist man für einander da. Man hilft sich gegenseitig und … Moment … das versucht sie gerade oder? Mir zu helfen. Oder nicht?
„Dann sag mir, wie ich das anstellen soll. Wie komme ich aus dem Scheiss hier raus? Wie kriege ich denn was Besseres? … wie?“ Edona schaut mir tief in die Augen. „Na, als erstes könntet ihr einfach mal mit dem ganzen illegalen Scheiss aufhören.“