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Das Leben und Ben

#7 Noch so ein Ort auf dieser Welt, wo wir nicht hingehören.

Mit Skateboard an den Rucksack geschnallt und Ghettoblaster unterm Arm, steh ich ganz hinten im Tram.

Ich will zur Uni hoch. Nicht, dass ich da studieren würde. Ich mache eine Ausbildung im Detailhandel. Ich will da hin zum Skaten.

Jasa und Goran sollten schon da sein.

Ich konnte nicht eher. Musste noch einem Betreuer unserer WG, meine Zahlungsbelege vorlegen. Hätte sonst wieder Sanktionen gehagelt.

Jetzt nicht falsch verstehen, diese betreute Wohngruppe ist ganz ok. Verpflichtungen finde ich halt einfach anstrengend.

Neumarkt. Ich muss raus und schlendere die Künstlergasse hoch, am Hauptgebäude der Uni vorbei.

Ich seh die beiden etwa 50 Meter vor mir. Jasa wurstelt irgendwas an seinem Board rum und Goran unterhält sich mit einem älteren Mann.

Beim Näherkommen merke ich, dass die sich nicht einfach unterhalten, sondern streiten.

„Lassen sie uns doch einfach hier bisschen rumfahren. Wir machen doch nichts Schlimmes.“ sagt Goran zu dem Alten. „Nein! Es ist verboten hier mit Rollbrettern rumzufahren. Ihr macht hier alles kaputt damit!“ Jasa atmet tief durch und prustet gelangweilt die Luft wieder aus. Goran wirkt ziemlich angepisst. Der Alte weist mit seiner Hand weg vom Platz und schimpft Goran an. „Geht jetzt oder ich rufe die Polizei!“

Mittlerweile stehe ich auch da. „Was ist denn los?“ will ich wissen.

Jasa steht auf, wirft sein Skateboard auf den Boden und rollt hinter mir, an uns vorbei. „Der nette Herr hat uns gesagt, dass wir hier nicht rumfahren dürfen.“ Er lacht laut, während er zum Sprung die Treppe runter ansetzt.

„Das reicht! Ihr wolltet es nicht anders. Ich rufe jetzt die Polizei!“ schreit der Alte während er davonläuft. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube er murmelt im Davonlaufen noch irgendwas wegen der heutigen Jugend vor sich hin.

Jasa läuft gerade die Treppe wieder hoch. „Was jetzt? Verduften bevor die Schlümpfe kommen?“ „Na besser wärs..“ meint Goran. „Toll. Dafür bin ich jetzt hier hochgekommen? Es kotzt mich an. Praktisch überall in dieser Stadt, wo wir gerne skaten, wird man weggeschickt.“ „Willst du etwa auf die Bullen warten?“ will Goran wissen. Ich schüttle den Kopf. „Bestimmt nicht … aber den Leap nehm ich noch mit.“

Ich mach mein Skateboard vom Rucksack los und leg ihn neben den Ghettoblaster auf den Boden.

„Warte!“ hält mich Goran auf. „Nen 10er in den Topf für den, der einen 360 Kickflip steht.“ Goran grinst selbstsicher. „Du weisst schon, dass wir den mittlerweile auch können? … ausserdem hab ich nur 5 in der Tasche.“ „Na ok. Dann zeigt was ihr könnt. Jeder 5 in den Topf. Jasa?“ Jasa winkt ihn ab. „Alter. Blind steh ich den du Kurac … hier meine 5.“ Jasa hält Goran einen 5er hin. Ich kram mein Kleingeld zusammen und gebe es ebenfalls ab. Goran zieht sein Cap aus, legt unseren und seinen Einsatz rein. „Dann los Jasa. Zeig deinen blinden Trick.“ Goran lacht. „Warts ab!“ Jasa pusht los in Richtung Treppe, zieht durch und wir sehen kurz vor der Landung schon, dass das so nichts wird. Jasa legt sich hin. Wir warten auf ein Zeichen von ihm. Jasa streckt eine Faust in die Luft. „Voll auf die Fresse gelegt!“ Goran lacht sich futsch. „Was auf die Fresse gelegt. Bail. Du Hurensohn!“ Jasa rappelt sich auf und wischt sich Dreck von seinen Kleidern. „Nicht mal ne Schramme, ha!“ Jasa zeigt Goran den Mittelfinger. „Zeigen sie mal ob sie es besser können Madame.“ Jasa macht einen Knicks und macht den Weg frei für Goran. „Jebemti Majku!“ beleidigt er Jasa und rollt in Richtung Treppe.

Wie zu erwarten hat es bei ihm geklappt. Goran ist 2 Jahre älter als wir und skatet auch etwa so viel länger. „War aber ganz schön sketchy.“ meint Jasa und grinst. „Am Arsch war das sketchy. Das war so sauber wie nur möglich, du Kurac.“ Goran wirkt leicht angepisst.

„Goran, das Quitschen hat man bis nach Wollishofen gehört.“ sag ich.

„Bullshit! … aber wenn du nicht mehr willst, musst du nicht mehr Ben. Ich hab ja eigentlich schon gewonnen.“ lacht Goran hämisch. „So eine Scheisse. Wenn ich den sauber stehe, gehört die Kohle mir!“ ruf ich und pushe an.

Ollie, 360 Kickflip, ich spüre diesen kurzen Adrenalinschub, geh bei der Landung tief in die Knie und rolle ein paar Meter davon.

„Safe!“ schreit Jasa und hüpft freudig um Goran rum. „Sowas von clean! Eingesackt, Alter! Haha!“

Goran wirkt angepisst. Normalerweise ist er derjenige, der auf Sicher alle Tricks steht, die wir noch üben.

„Shit! Die Bullen!“ schreit Jasa. Tatsächlich spazieren gerade, in etwa 200 Metern Entfernung, zwei Polizisten in unsere Richtung.

„Lass abhauen.“ sagt Goran, schnappt sich seine Sachen und fährt los. „Jeder für sich! Man sieht sich Jungs!“

Wir sehen, wie die Polizisten anfangen schneller zu laufen. „Halt! Wartet Jungs!“ rufen sie uns entgegen.

Jasa und ich sehen uns an, nicken, packen unsere Sachen und hauen ebenfalls ab. Jasa rennt über das Unigelände weg. Ich den Weg entlang, über den ich gekommen bin.

Klar ist die Aktion übertrieben. Die hätten uns vermutlich nur einen Vortrag gehalten und uns weggeschickt. Aber so ist halt mehr Action für uns. Plus, wer will sich schon mit Polizisten unterhalten, wenn es sich umgehen lässt?

Ich steig am Neumarkt wieder ins Tram und lass mich wegchauffieren.

Nach 2 Haltestellen sehe ich, wie Jasa etwas weiter vorne einsteigt. Er sieht mich und kommt durch das Tram zu mir nach hinten. „Das war amüsant.“ Er grinst. „Ja das war witzig.“ antworte ich ihm. „und komplett unnötig.“ Wir lachen.

„Skurwysyn! Goran ist mit meiner Kohle abgehauen.“ fällt mir gerade ein. „Stimmt! … Kurac! … der ist bestimmt nachhause. Lass ihn besuchen. Der wird sich freuen.“ Ich nicke. „Lass uns Goran besuchen.“

Goran wohnt in Höngg. In einem Einfamilienhaus mit seinen Eltern und Geschwistern.

Die haben nen Garten mit Pool, nen Partykeller und Goran hat ein eigenes Zimmer. Sein Vater ist Architekt, glaube ich und seine Mutter arbeitet an der ETH. Sowas hat er zumindest mal erzählt. Abgesehen von Skateboard und Musik, haben wir eigentlich kaum was gemeinsam. Bin mir auch nicht sicher, ob ich Goran als Freund bezeichnen würde.

Klar, wir treffen uns manchmal zum Skaten und soweit ist das auch alles cool. Aber eben…

An seinem letzten Geburtstag hatte er uns eingeladen. Poolparty. War eigentlich auch ganz gut, bis seine Mutter uns rausgeworfen hat.

Da war dieser eine Kumpel von Goran. Ein ekliges, überhebliches Arschloch. Er hielt es für eine gute Idee, uns permanent anzupöbeln. Unter anderem hat er Edona als Zigeunerschlampe betitelt und wir seien sowas wie der Abfall der Gesellschaft bla bla bla.

Es gibt da dieses Sprichwort: Hunde, die bellen, beissen nicht. Das kann sein. Aber manchmal werden die Hunde, die bellen, gebissen.

Ich habe ihm die Nase gebrochen. Goran ging dazwischen und seine Mutter hat uns aus dem Haus gejagt.

Scheiss Bonzenkinder!

Noch so ein Ort auf dieser Welt, wo wir nicht hingehören. Aber Geld ist Geld. Darum überqueren wir gerade die Strasse bei der Bushaltestelle und laufen auf das Haus zu.

Jasa klingelt.

Gorans Mutter öffnet die Türe und schaut uns leicht verdutzt an. „Hallo zusammen … was wollt ihr denn hier?“ „Ist Goran da?“ frag ich. „Ja, der ist da. Was wollt ihr von ihm?“ Sie sieht uns etwas misstrauisch an. „Können wir zu ihm oder kann er kurz rauskommen?“ ignoriert Jasa ihre Frage. „Einen Moment.“ Sie schliesst die Türe. Von draussen hören wir, wie sie nach Goran ruft. Dem Geräusch nach zu urteilen, kommt der auch gerade die Treppe runter. „Was machen die beiden Unruhestifter hier? … ich hab dir doch gesagt, dass die nicht erwünscht sind bei uns. Mach, dass die wieder gehen! Ich will die nicht hier und du sollst dich doch auch nicht mit denen abgeben!“ Ich bin mir nicht sicher ob ihr bekannt ist, dass man vor der Türe ziemlich deutlich versteht, was sie dahinter reden…

Goran öffnet die Türe, kommt raus und schliesst sie gleich wieder hinter sich. „Scheisse Jungs. Was macht ihr denn hier? Ich dachte, nach der Party wäre klar, dass ihr hier nicht mehr einfach aufschlagen sollt?“ Goran wirkt leicht nervös.

„Yo, chill Alter. Wir wollen nur die Kohle.“ sag ich ihm. „Kohle? Welche Kohle?“ Er schaut mich fragend an. „Na, die 15.- die du ihm schuldest Kurac.“ antwortet ihm Jasa. „Was? Wegen 15.- seid ihr extra hierher gekommen? Die hätte ich dir doch auch ein anderes Mal geben können. Meine Mutter ist gerade voll angepisst wegen euch…“ „Ja das haben wir mitgekriegt.“ sag ich. „Klar hättest du es mir ein anderes Mal geben können. Aber wir wollen es halt heute. Also, her damit.“ Ich strecke ihm die Hand hin. „Der ganze Aufwand wegen dem bisschen Geld?“ Goran schüttelt den Kopf und kramt in seiner Hosentasche. „Du hast echt keine Ahnung. Mit dem Geld esse ich 2, 3 Tage…“ Goran sieht mich leicht überfordert an, während er mir das Geld gibt. „Hach… schöne gerechte Welt…“ sagt Jasa mit zynischem Unterton. „Bis dann Richie Rich.“ grinst Jasa und zeigt Goran den Mittelfinger. „Man sieht sich.“ sag ich und wir beide wenden uns von Goran ab. „Ja, bis dann.“ sagt Goran. Und ich gehe schwer davon aus, dass wir hinter uns einen Mittelfinger sehen würden.

Von wotsefak

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