„Scheisse Alter! Lass uns abhauen! Komm schon!“ schreit Jasa und versucht mich an meinem Pullover von Goran runter zu zerren.
Ich hatte wohl einen Aussetzer. Ich weiss noch, dass ich Goran eine verpasst habe, aber ich kann mich nicht daran erinnern was zwischen meinem Box und dem jetzt passiert ist. Ich knie über ihm und sein Gesicht ist blutverschmiert. Meine rechte Hand auch. Was habe ich getan?! Jasa zerrt noch immer an meinem Pullover. „Mach hin! Komm jetzt!“ Ich stehe langsam auf, schau zu Jasa, der mich weiter anbrüllt und dann wieder zu Goran. Wie er regungslos da liegt. „Scheisse Mann … ist der tot?“ Ein flaues Gefühl überkommt mich. Ich glaube, ich muss gleich kotzen. „Nein, der Kurac lebt schon noch. Komm jetzt endlich. Lass uns hier abhauen! Wenn du nicht kommst, lass ich dich hier alleine stehen!“ schreit Jasa mich an. Ich seh mir Goran nochmal an. Sein Brustkorb bewegt sich. Also atmet er noch. Ich schaue zu Jasa, der gerade ansetzt um davon zu laufen. Ich seh mich kurz um. Weit und breit keiner zu sehen ausser uns. Ich zieh mir meine Kapuze über den Kopf und renne ebenfalls los.
Es muss irgendwas nach 23.00 Uhr sein. Abgesehen von ein paar Lichtern in dem Quartier ist es dunkel. Von der Kälte, zieht ein stechender Schmerz durch meine Lunge bei jedem Atemzug. Jasa hat gute 50 Meter Vorsprung. Wir rennen in Richtung Stadt runter.
Gegenüber vom Platzspitz hält Jasa an und beugt sich über das Geländer zur Limmat. Ich hole ihn ein, bleibe ebenfalls stehen und stütze mich am Geländer ab. Erst einmal verschnaufen. „Alter … was zum Teufel … war das gerade?“ Wir sind beide völlig ausser Atem. „Alter … ich weiss es nicht … ich … keine Ahnung was da passiert ist.“ „Ich hatte voll Panik, dass du den gleich umbringst … nicht falsch verstehen … er ist ein dreckiger Hurensohn … und juckt mich nicht, wenn der abkratzt … aber ich will nicht, dass wir jemanden töten, ja.“ Langsam stellt sich wieder eine normale Atmung ein bei uns. „Alter, ich will auch niemanden umbringen. Irgendwie hab ich voll ausgeklinkt. Ich erinnere mich echt nicht mehr, was ich getan habe … als du an mir rumgezerrt hast, bin ich irgendwie wieder zu mir gekommen. Das war voll der kranke Scheiss!“ „Voll der kranke Scheiss.“ Jasa nickt. „Scheisse Mann, was machen wir denn jetzt? Sollen wir einen Krankenwagen rufen oder so? … wenn der da lange liegt, krepiert er vielleicht wirklich.“ Ich bin gerade total überfordert und jetzt, wo sich mein Kreislauf wieder etwas gefangen hat, steigt dieses flaue Gefühl wieder meinen Magen hoch. „Ja, lass uns einen Krankenwagen rufen. Hurensohn hin oder her. Wir sind keine Mörder, ja. Der Kurac soll nicht wegen uns sterben.“
Wir gehen über die Strasse in ein Restaurant und beim Reingehen fällt mir auf, dass meine Hand ja noch immer blutverschmiert ist. Das sieht auch die Kellnerin und kommt sofort auf mich zu. „Oh mein Gott! Was ist denn mit dir passiert? Geht es dir gut?“ Sie greift nach meiner Hand um sie sich anzusehen. Ich zieh sie sofort weg und versuche sie in meinem Pullover zu verstecken. „Ich ähm… ich habe mich verletzt. Darf ich kurz ihr Telefon benutzen?“ Sie schaut uns etwas skeptisch an. Aber wenn ich ihr meine Hand gezeigt hätte, hätte sie bestimmt gesehen, dass das Blut nicht von mir ist. „Ok. Du kannst kurz telefonieren. Komm mit.“ Sie läuft vor, durch einen Flur, in einen Raum, der laut Schild, nur für das Personal bestimmt ist. „Da ist das Telefon. Halt dich kurz. Ich muss wieder nach vorne zu den Gästen.“ „Ja ich beeil mich. Danke.“
Sie verlässt den Raum und ich wähle den Notruf. Ich geb denen die Adresse und sag ihnen, dass ein verletzter Junge da liegt. Die Frau am anderen Ende der Leitung wiederholt die Angaben und ich bestätige. Als sie fragt, wer denn am Apparat ist, teile ich ihr mit, dass das unwichtig ist und sie sich einfach beeilen sollen. Ich hänge den Hörer auf, bevor sie noch weitere Fragen stellen kann.
Ich verlasse den Raum, gehe zur Toilette nebenan und wasche meine Hände. Das alles nur, weil der Wichser uns bei seiner Mutter verpfiffen und die uns die Bullen und unsere Heimleitung auf den Hals gehetzt hat. Weil das Muttersöhnchen seinen Arsch retten wollte, als seine Mom, Gras bei ihm gefunden hat. Man verpfeift niemanden einfach so! Aber warum hat uns das überhaupt verwundert. Er ist keiner von uns. Ehrenloser Hundesohn. Immer die Fresse aufreissen und einen auf harten Ficker machen, aber wehe Mama erwischt dich mal. „Spasst!“ murmle ich vor mich hin, trockne meine Hände ab und gehe wieder nach vorne ins Restaurant. Ich schau zu Jasa, der am Tresen lehnt und nicke ihm zu. „Vielen Dank. Meine Mutter kommt uns gleich abholen.“ lüge ich die Kellnerin an und verlasse das Lokal. Jasa verabschiedet sich mit einem kurzen Winken und kommt mir nach.
„Kippe?“ Jasa holt eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche und hält sie mir hin. „Wo hast du die denn her?“ „Na, die lagen da rum. Als ihr zwei nach hinten gegangen seid, hab ich sie eingesteckt. Willst du jetzt eine oder nicht?“ Er holt sich eine raus und streckt mir die Packung wieder hin. „Klar.“ Ich nehme mir eine raus und zünde sie an.
Wir spazieren der Limmat entlang nachhause. „Denkst du, Goran wird uns wieder verpfeifen?“ fragt Jasa. „Was denkst du denn? … wenn der Hund überlebt, wird er das mit Garantie. Skurwysyn…“ „Bestimmt, Kurac. Ehrenloser Bastard … meinst du, dann landen wir im Jugendknast oder so?“ „Nein… war doch Notwehr. Er wollte auf uns los, weil er sauer war, weil seine Mutter ihn bestraft hat oder sowas.“ Jasa legt seinen Arm um mich und grinst. „Stimmt. Ganz vergessen. War ja Notwehr.“