Kategorien
Das Leben und Ben

#11 2b, da muss ich hin. 2. Stock, 3. Türe Links, haben sie gesagt.

Sie hat mich nicht zurechtgewiesen und mir auch keinen Vortrag gehalten, weil ich abgehauen bin. Im Gegensatz zum Polizisten. Der war gar nicht begeistert.

Ich rolle auf meinem Skateboard in Richtung Schule. Heute ist ein richtig guter Tag. Gestern war ich mit meinem Onkel bei einem Polizisten und einer Frau vom Amt. Die haben mich voll viele Dinge gefragt. Habe ihnen alles erzählt, was in dem Dorf mit den Würfelhäusern so passiert ist und wie ich Vorgestern dann alleine wieder hergekommen bin. Und warum. Der Polizist war irgendwie komisch, aber die Frau war ganz nett. Sie hat mich nicht zurechtgewiesen und mir auch keinen Vortrag gehalten, weil ich abgehauen bin. Im Gegensatz zum Polizisten. Der war gar nicht begeistert. Es sei viel zu gefährlich so etwas zu machen und dass ich sowas nie wieder tun dürfe. Ach egal. Jetzt bin ich wieder hier, darf wieder in meine alte Schule, seh endlich meine Freunde wieder und nach der Schule geh ich mit Onkel Jan und der Frau vom Amt ins Heim. Ich darf wieder da hin und muss nie wieder zu der Pflegefamilie. Am liebsten würde ich zwar zu Onkel Jan, aber das geht halt nicht. Das sei kein guter Ort für Kinder zum aufwachsen meint das Amt wieder Mal. Ist ok. Ich komm klar im Heim. Jasa und Edona sind da. Und meinen Onkel kann ich ja besuchen.

Hab ich schon erwähnt, dass heute ein guter Tag ist? Auch wenn ich in eine neue Klasse komme. Anscheinend ist kein Platz mehr in meiner alten. Muss jetzt in eine Parallelklasse. Mal sehen wie das wird.

Ich rolle zwischen anderen Kindern durch, über den Schulhof zum Eingang, poppe mein Skateboard hoch, klemme es unter den Arm und suche mein neues Klassenzimmer. 2b, da muss ich hin. 2. Stock, 3. Türe Links, haben sie gesagt. Da ist es auch. Die Türe steht offen. Der Mann an dem Lehrerpult ist wohl mein neuer Klassenlehrer. Unterricht hat noch nicht begonnen. Bin heute ungewohnt zu früh dran wie es scheint. Ich hänge meine Jacke an der Garderobe auf und gehe ins Zimmer. „Das bleibt draussen, Junger Mann.“ meint der Lehrer und zeigt auf mein Board. Ich gehe raus, stecke es unter die Bank der Garderobe und trotte wieder ins Zimmer. „Du musst Ben sein. Ich bin Herr Roth. Der Platz da vorne ist noch frei.“ Er zeigt auf den Platz in der hintersten Reihe am Fenster. Ich setze mich dort hin und packe mein Schreibzeug auf den Pult.

Laut der Uhr im Klassenzimmer bin ich 10 Minuten zu früh. Langsam trudelt auch der Rest der Klasse ein und die freien Plätze füllen sich.

Die Schulglocke meldet sich. „Guten Morgen Kinder.“ sagt der Lehrer. „Guten Morgen, Herr Roth.“ antwortet die Klasse. „Kinder, ihr habt ab heute einen neuen Mitschüler. Ben, kommst du kurz vor und stellst dich der Klasse vor?“ Ich gehe zwischen den Pulten nach vorne zum Lehrer. Ein paar Mädchen schauen mit an und kichern. Vorne angekommen, drehe ich mich zur Klasse. „Hallo. Ich bin Ben.“ Die Mädchen von eben, kichern wieder. Der Grossteil sieht mich ganz normal, ein paar Andere eher komisch an. „Du bist doch eins von den Heimkindern.“ meldet sich ein Junge. „Mein Vater sagt, dass man sich vor euch in Acht nehmen soll.“ „Warum?“ frag ich ihn. „Jonas, das stimmt nicht, was dein Vater da behauptet.“ Geht Herr Roth dazwischen. „Aber meine Mutter sagt das auch. Ihr seid schlecht erzogen und gefährlich.“ Ich werde wütend und will gerade meinem Unmut, Luft verschaffen, aber Herr Roth reagiert schneller. „Das ist Humbug Jonas. Du wirst sehen, dass Ben ein ganz normaler Junge ist. Wie du … Nimm diese Bücher und setzt dich wieder an deinen Platz Ben … lasst uns mit dem Unterricht anfangen.“ Er hält mir ein paar Schulbücher hin. Ich nehme sie ihm ab und gehe zu meinem Platz zurück. „Ich glaube das nicht. Ich behalte dich im Auge, Heimkind.“ meint Jonas zu mir und schaut mich abschätzig an, während ich an seinem Platz vorbeigehe.

Neben und direkt vor mir sitzt jeweils ein Mädchen. Das eine blond, das andere brünette. Das blonde hat ganz glatte, lange Haare. Das brünette eher welliges, schulterlanges. Während ich mir noch ein paar Frisuren der restlichen Schüler anschaue, meldet sich Herr Roth zu Wort. „So, Kinder. Lasst uns mit einer kleinen Gruppenarbeit anfangen. Sucht euch einen Partner, lest die Geschichte auf Seite 13 in eurem Lesebuch und beantwortet dann zusammen die Fragen auf diesem Blatt … Gebt die bitte weiter nach hinten durch.“ Er gibt den Schülern in der vordersten Reihe jeweils einen kleinen Stapel und die Blätter kursieren von Pult zu Pult. Das brünette Mädchen dreht sich zu mir und reicht mir ein Blatt. „Hey, möchtest du das mit mir machen?“ Sie lächelt. „Ja, ok.“ sag ich. Sie steht auf und kommt zu mir ans Pult. „Rutsch mal rüber.“ Sie stupst mich an. Ich rutsche auf meinem Stuhl so, dass sie sich zu mir setzen kann. Sie nimmt ein Buch von meinem Stapel und Blättert zu Seite 13. Die Geschichte vom hohlen Baum.

Ich bin fertig mit Lesen und nehme das Blatt mit den Fragen. „Bist du schon fertig mit Lesen?“ fragt sie mich. „Äh.. Ja.“ „Krass. Du bist ja voll schnell … ich bin nicht so schnell. Tut mir leid.“ Sie lächelt nicht mehr. „Na und? Das ist doch egal, wie schnell man lesen kann.“ „Geht so… ein paar machen sich immer lustig darüber.“ „Ich nicht. Mir ist das egal.“ Jetzt lächelt sie wieder. „Danke.“ „Bitte … aber du solltest jetzt wohl trotzdem lieber noch zu Ende lesen.“ „Ja.“ sie schaut wieder ins Buch. Mit ihrem Zeigefinger rutscht sie ganz langsam von Wort zu Wort. Sie ist wirklich voll langsam, denke ich. Irgendwann ist sie dann fertig und wir fangen an den Fragebogen zu beantworten. Voll die einfachen Fragen. Aber egal. So ist halt Schule. Keine Herausforderung für mich. Der Schulstoff zumindest. „Darf ich dich was fragen?“ „Ja, was denn?“ „Stimmt das was Jonas sagt? Dass Heimkinder gefährlich sind, mein ich.“ „Das ist totaler Käse. Jonas ist ein Idiot. Und seine Eltern auch.“ „Dachte ich mir … du scheinst nämlich ganz nett zu sein … und ja, Jonas ist schon ein Idiot.“ Sie rückt ein bisschen näher an mich ran und flüstert mir ins Ohr. „Ich mag dich.“ Sie steht kichernd auf und geht zurück zu ihrem Platz. Ich bin gerade etwas überfordert. Ein leichtes Kribbeln macht sich in meinem Brustkorb breit und ich merke, wie mein Gesicht irgendwie wärmer wird. „Schaut euch den Tomatenkopf an!“ ruft Jonas und zeigt auf mich. In der Klasse bricht schallendes Gelächter aus. „Ruhig! Kinder! Man lacht andere nicht aus!“ Versucht Herr Roth die Klasse wieder zu beruhigen. Am liebsten würde ich im Boden versinken.

Die Klasse hat sich wieder beruhigt und der Unterricht geht weiter, bis sich die Schulglocke zur grossen Pause meldet. Mit allen anderen gehe ich aus dem Klassenzimmer und will raus auf den Pausenhof. Jasa und Edona suchen. Plötzlich greift jemand von hinten meine linke Hand. „Hey Ben. Warte.“ Es ist das brünette Mädchen mit dem welligen Haar. Sie schaut mich mit ernster Miene an und sagt „Ich habe nicht gelacht.“ „Das weiss ich. Danke.“ Sie hält noch immer meine Hand. „Dann ist ja gut.“ Jetzt lächelt sie wieder. „Sag mal, wie heisst du eigentlich?“ „Sandra.“ Ich bin mir nicht sicher, aber ich lächle glaube ich auch gerade. Und da kommt dieses Kribbeln wieder über meinem Magen. Ich muss eingreifen, bevor ich wieder zum Tomatenkopf werde! „Hey, ich wollte eigentlich meine Freunde suchen gehen. Kommst du mit? … also du musst nicht … wenn du zu deinen Freunden gehst ist das auch ok.“ stammle ich vor mich hin. Fehlschlag. Da ist wohl der Tomatenkopf wieder. „Du bist doch jetzt auch mein Freund oder? Ich komme mit.“ Sie hält noch immer meine Hand und wir laufen die Treppe runter zum Pausenplatz. „Hey Ben!“ höre ich jemanden rufen. Die Stimme kommt mir bekannt vor. Ich drehe mich um und sehe, wie Edona auf mich zu rennt. Sie rammt mich fast um mit ihrer freudigen Umarmung. Sandra lässt meine Hand wieder los. Das fühlt sich richtig gut an, Edona nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. „Wie geht es dir? Wo warst du? Was ist passiert? Oh, du musst mir unbedingt alles erzählen! … ich freu mich so, dass du wieder hier bist. Was für eine Überraschung!“ Edona lacht und drückt mich immer wieder. „Ihr habt mir gefehlt.“ Vor Freude drücken Tränen in meine Augen. „Wo ist denn Jasa?“ „Der liegt mit Grippe im Bett. Aber wenn der hört, dass du wieder da bist, wird der sicher gleich wieder gesund.“ Edona lacht. „Das kann ich ihm heute Abend selber sagen.“ „Was? Kommst du wieder zurück ins Heim?“ Ihr eben noch freudiges Lachen weicht einem leicht betrübten Gesichtsausdruck. „Hey, alles gut. Das Heim ist besser, als da wo ich vorher war.“ Edona lächelt wieder. „Oh hey, das ist übrigens Sandra. Sie ist in meiner Klasse.“ „Aha.. Sandra.“ Edona mustert sie gründlich. „Freut mich, dich kennenzulernen Edona.“ sagt Sandra. „Äh ja. Hallo.“ antwortet Edona etwas schnippisch. Ich habe absolut keine Ahnung was hier gerade los ist. „Komm. Wir gehen hinters Schulhaus. Du musst mir voll viel erzählen.“ Edona packt meine Hand und will mich wegziehen. „Ja klar … komm mit Sandra.“ Sandra schaut mich verunsichert an. „Na komm schon mit Sandra.“ meint Edona mit einem tiefen Seufzer.

Von wotsefak

Facebook ist ein Psychiatrieaufenthalt mit Freigang und Twitter, SMS für Grenzdebile.
..so ein Blog, eine gute Mischung