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Das Leben und Ben

#14 „Zieh dich an. Du musst uns fahren!“

„Klar. Komm rein.“ Ich schliesse die Türe hinter ihr. Sie packt mich, schliesst ihre Arme fest um mich und weint. „Was ist denn passiert?“

„Darf ich reinkommen?“

Es ist spät. Wollte eigentlich gerade ins Bett, als die Hausglocke sturmgeläutet hat.

Edona steht vor der Türe. Ihr Make-up ist tränenverschmiert und sie zittert am ganzen Körper.

„Klar. Komm rein.“ Ich schliesse die Türe hinter ihr. Sie packt mich, schliesst ihre Arme fest um mich und weint. „Was ist denn passiert?“ frage ich sie, während ich meine Arme um sie lege. Edona antwortet nicht.

„Was ist denn hier los?“ Der unerwartete Besuch hat Larissa geweckt, die ihren Kopf aus dem Schlafzimmer streckt und uns fragend ansieht.

Ich schaue zu ihr rüber und zucke mit den Schultern.

Sie kommt auf uns zu und streicht Edona sanft über dem Rücken. „Hey, wollen wir uns auf Sofa setzen? … magst du einen Tee? … ich mach dir einen Tee.“ Larissa geht in die Küche. Ich löse meine Arme von Edona und wir gehen langsam zur Couch. „Kannst du mich bitte einfach wieder in den Arm nehmen?“ Erst jetzt sehe ich, dass ihr rechtes Auge blutunterlaufen ist und sie eine Schramme an der Wange hat. In dem Moment steigt Wut mit einem übermächtigen Druck in mir auf. Es fällt mir schwer ruhig zu bleiben. „Wie ist das passiert? Wer war das?!“ „Beruhig dich Ben.“ Larissa legt eine Hand auf meine Schulter und stellt die Tasse mit dem Tee vor Edona auf den Tisch. „Trink Süsse … und dann erzähl in aller Ruhe … wenn du möchtest.“

Edona setzt sich langsam aufrecht hin, greift nach der Tasse und nippt an dem frischen Tee.

„Ich hab dir doch von Michael erzählt. Ich war ihn besuchen.“ „Der Typ aus dem Kurs?“ „Ja, der…“

Michael ist ein Junge aus einem Kaff ausserhalb. Sie haben sich in einem Kurs der Berufsschule kennengelernt. Ich selber habe ihn erst ein Mal gesehen, als ich mich mit Edona nach diesem Kurs getroffen habe. Ein komischer Vogel. Aber fairerweise muss ich einräumen, dass ich das von sehr vielen Menschen denke die ich so treffe.

Edona erzählt uns was an diesem Abend alles passierte. Wie sie mit der S-Bahn da rausgefahren ist, dass sie in dem Haus wo er wohnt, im Keller zusammen was getrunken haben und eigentlich alles nach einem gemütlichen Abend aussah, bis 2 Kumpels von ihm aufgetaucht sind. Plötzlich geriet alles aus den Fugen. Sie fingen an sie zu beschimpfen als Zigeunerschlampe. Sie dachte erst, dass das einfach sowas wie deren Humor wäre und habe gekontert. Sie hörten aber nicht mehr auf sie weiter zu beleidigen und wurden immer ausfallender. Als sie aufstand und gehen wollte, wurde sie zurückgehalten. Sie haben sie rumgeschubst, betatscht und fortlaufend mit rassistischen Äusserungen beleidigt. Der eine hat sie dann festgehalten und versuchst seine Hand in ihre Hose zu stecken. Da hat sie ihn, so fest sie konnte, gebissen. Er liess ab, verpasste ihr eine Faust und sie knallte gegen die Wand. Das war der Moment in dem sie davonlaufen konnte. Sie sind ihr noch ein Stück nachgerannt, aber gaben irgendwann auf.

„ … und jetzt ist meine Tasche mit meinen Sachen noch da … und ich weiss nicht, was ich machen soll.“ Edona starrt apathisch die Tasse an, die sie fest in ihren Händen hält.

Die Wut in mir kochte weiter und weiter hoch, während Edona erzählt hat. „Wir sollten zur Polizei und die Arschlöcher anzeigen!“ meint Larissa, während sie einen Arm um Edona legt.

„Sag mir wo dieses Stück Scheisse wohnt!“ Ich steh auf, gehe ins Schlafzimmer und hole meine Kleider. „Nein! Beruhig dich!“ ruft Larissa mir hinterher. „Sag mir wo dieses Dreckschwein wohnt! Dafür werden die büssen!“ „Jetzt beruhige dich Ben! Das ist keine Lösung!“ schreit Larissa mich an. Edona sitz noch immer regungslos auf dem Sofa und starrt die Tasse an. „Keine Polizei.“ sagt sie leise. Larissa und ich schauen zu ihr. „Was hast du gesagt?“ fragt Larissa. „Keine Polizei.“ wiederholt sie.

Ich setze mich neben Edona und lege meinen Arm über ihre Schultern. „Dann sag mir wo er wohnt.“

Edona kramt einen Zettel aus ihrer Hosentasche. Darauf ist eine Telefonnummer, eine Adresse und unten rechts steht Michael mit einem kleinen Herzchen verziert.

Ich gebe Edona einen Kuss auf den Kopf, fahre ihr mit meiner Hand über den Rücken und stehe auf. Larissa stellt sich vor mich hin und legt mir ihre Hand auf die Brust. „Lass das. Bitte!“ Ich nehme ihre Hand und zieh sie von mir weg. „Nein.“ Ich zieh mir meinen Pullover über und ziehe mir meine Schuhe an. „Bitte Ben! Ich flehe dich an! Das ist keine Lösung! … du bekommst nur Ärger! Überlass das der Polizei. Bitte!“ Larissa hält mich fest. „Du hast sie gehört. Sie will nicht zur Polizei. Ausserdem, was machen die schon? Die unfähigen Bastarde.“ „Ich will nicht, dass dir was passiert! Verstehst du das denn nicht?“ Larissa fängt an zu weinen. „Es ist scheissegal was mit mir passiert. Niemand misshandelt meine Lieblingsmenschen. Niemand!“ Ich reisse mich von Larissa los und öffne die Haustüre. „Ich muss einfach … Du musst das verstehen.“ sage ich beim Rausgehen. „Ich verstehe es aber nicht!“ ruft Larissa mit hinterher.

Dann verstehst du es eben nicht, denke ich mir. Das spielt keine Rolle.

Ich warte an der Haltestelle auf die Tram und fahre mit, in Richtung Irchel.

Während ich dort durch das Quartier gehe, schwirrt mir pausenlos durch den Kopf, was diese Ratten, Edona angetan haben.

Ich klingle. Nochmal. Nochmal. Beim vierten Mal ertönt das Geräusch des Türöffners. Ich drücke die Türe auf und gehe in den 3. Stock. Mike, der Mitbewohner von Jasa, steht in der Türe. „Alter, was klingelst du denn hier so wild rum, wie so ein geistig behinderter Postbote?“ er lacht. „Fresse Kurwa! Ist Jasa da?“ „Chill Alter! Nicht so aggro, Dicker … ja der ist da … Jasa!“ ruft Mike in die Wohnung. Jasa kommt zur Türe. „Was schreist du denn hier so rum? Nen Plan wie spät es ist, Kurac?“ Jasa verpasst Mike einen Nackenklatscher. Während dieser seinen Hinterkopf reibt, schaut mich Jasa an „Wasn los Dicker?“ „Michael. Sagt dir was?“ Er sieht mich fragend an. „Welcher Michael?“ „Michael aus Edonas Berufsschule.“ „Ah der..“ „Er dachte, es wäre eine gute Idee, mit 2 Freunden deine Schwester zu erniedrigen und misshandeln … die sind fällig!“ Ich sehe wie sich die Kiefermuskulatur von Jasa anspannt und sich seine Nasenlöcher weiten, während er tief einatmet. „Die haben was?!“ er unterdrückt ein Schreien. Er schüttelt den Kopf. „Fuck! Fuck! Fuck!“ Jasa zieht sich Schuhe an und sagt zu Mike, der etwas überfordert im Türrahmen steht: „Zieh dich an. Du musst uns fahren!“ Mike zögert kurz, nickt dann aber. Er zieht sich ebenfalls an und wir gehen runter auf die Strasse zu Mikes Auto.

Während der Fahrt erzähle ich den beiden ins Detail alles, was ich von Edon darüber weiss.

In dem Kaff angekommen, parkt Mike den Wagen auf der gegenüberliegenden Strassenseite. „Endstation.“ Wir steigen aus. „Du bleibst hier Mike.“ sagt Jasa. „Was? Nein. Ich komme mit. Ben hat gesagt die waren zu dritt. Ihr könnt da nicht zu zweit rein.“ „Wir wollen dich da nicht mit reinziehen.“ „Hey! Ich kenne Edona auch! Und diese Schweine kotzen mich an! … Mir egal was ihr meint. Ich komme mit!“ Jasa schaut mich an. Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. „Na dann komm mit.“

Wir überqueren die dunkle Strasse. In den Haus brennt noch Licht. Jasa klingelt lange. Ein Typ öffnet die Türe. „Michael?“ fragt Jasa. „Äh.. Ja? Und ihr seid?“ Die Frage beantwortet Jasa umgehend mit einer gerade durchgezogenen Faust in sein Gesicht. Der Typ torkelt rückwärts ins Haus. „Jebem!“ schreit Jasa, geht ihm nach und verpasst ihm einen Tritt. Er fällt zu Boden. Ich hole aus und trete ihm in den Bauch. „Na?! Findest du das geil?! Stehst doch drauf! Gib es zu! Erniedrigung. Missbrauch. Quälen! Dass doch genau dein Ding! Skurvysyn!“ Mike schnappt sich einen Schirm von der Garderobe und zieht ihn damit eine über. „Liebe Grüsse von Edona du Drecksau!“. Ein Poltern ertönt hinter der einen Türe. Sie geht auf. 2 andere Typen stehen plötzlich im Flur. „Was ist denn hier.. oh scheisse!“ ruft der eine aus. Sie sehen uns erschrocken an und verschwinden wieder hinter der Türe. Man hört, dass sie sie von innen abschliessen und irgendein aufgeregtes Gemurmel. Ich hämmere mit der Faust gegen die Türe. „Macht sofort dieses scheiss Ding auf!“ brüll ich sie an.

Nichts tut sich.

„Mach Platz!“ Jasa drückt mich zur Seit und fängt an, gegen die Türe zu treten. Sonderlich stabil ist dieses Ding nicht. Nach ein paar Mal treten und sich dagegen Stürzen hat Jasa sie aufgebrochen. Wir gehen die Treppe runter und da stehen die zwei Anderen. „Hört zu. Keine Ahnung was ihr wollt von uns. Wir haben nichts getan.“ sagt der eine und kommt langsam ein paar Schritte auf uns zu. „wollt ihr Geld? Ich hab nicht viel, aber ihr könnt alles haben.“ Er wirft uns seinen Geldbeutel vor die Füsse. „Nichts getan? Ihr habt nichts getan?!“ Jasa fängt an zu lachen. „Das sehen wir anders!“ schreit Jasa ihn an, während er auch ihm eine verpasst. In diesem Moment rumpelt es über uns. „Drecksack!“ ruft Mike und rennt nach oben. In diesem Moment versucht der dritte Typ über ein Kellerfenster abzuhauen. „Hier geblieben, Kurwa!“ brüll ich und versuche ihn aufzuhalten, krieg aber nur einen seiner Schuhe zu fassen. Ich trete den Typ im Keller beim Vorbeirennen und laufe die Treppe hoch. Dort ist Mike mit diesem Michael beschäftigt. Ich sprinte raus, ums Haus rum und sehe wie der dritte davonrennt. So schnell ich nur kann, renne ich ihm nach. Ein paar Häuser weiter habe ich ihn eingeholt und trete ihm gegen ein Bein. Er fällt zu Boden. Er sieht mich verängstigt an, streckt mir seine Arme und Beine entgegen und fleht: „Bitte, bitte tu mir nichts! Ich habe dir doch nichts getan. Bitte, bitte … ich mach auch alles was du willst.“ „Nichts getan, ja? … Du erniedrigst andere Menschen. Du behandelst sie wie ein Stück Dreck und fühlst dich dabei wohl auch noch überlegen … Nein, du hast bestimmt nichts getan!“ schreie ich ihn an. In diesem Moment sehe ich die Bissspuren an seinem Linken Unterarm.

„Ich zeige dir jetzt wie sich das anfühlt, wenn man misshandelt wird!“

Von wotsefak

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